Die unverzeihliche Sünde

Ichabod Spencer (1798-1854) (Dies ist ein Kapitel aus dem Buch „A Pastor´s Sketches“)

Während eines ganzen Sommers ließ mich eine junge Frau einer angesehenen Familie, die religiös erzogen wurde, von Zeit zu Zeit zu sich holen, um geistliche Unterhaltungen zu führen. Sie hatte keine Hoffnung und ihre Seele war durchweg bedrückt. Sie schien besonders deprimiert zu sein. Immer wieder, wenn ich sie besuchte, bemühte ich mich so deutlich wie nur möglich, ihr die göttlichen Zusagen offenzulegen; dass die Fülle Christi alle nur möglichen Bedürfnisse der Sünder erfüllt, die an Ihn glauben. Dennoch verblieb sie genauso traurig und niedergeschlagen wie immer. Ihr häufigstes Gesprächsthema war der Umfang ihrer Sünden; sie meinte, sie wäre solch eine große Sünderin, sodass es keine Gnade für sie geben würde. Wiederholt zeigte ich ihr den Fehler dieser Denkweise durch die klaren Aussagen der Bibel, und durch die Art der Errettung, die unser Retter erwirkt hat. Besonders inständig gab ich ihr zu verstehen, dass es ihre dringende Pflicht wäre, das Evangelium zu hören, Buße zu tun, und Jesus Christus zu vertrauen, während der Heilige Geist mit ihr rang. Ich versicherte ihr, dass kein Sünder verloren gehen müsse, weil seine Sünden zu groß wären, da „das Blut Jesu Christi uns von aller Sünder rein macht“; und wenn ein Sünder verloren geht, so geht er ins Verderben, weil er keine Buße getan, noch geglaubt hat, und NICHT, weil das Werk Christi unzulänglich gewesen wäre, die Reichweite seiner Sünden zu decken, und auch NICHT, weil Christus ihm nicht frei angeboten wurde in völliger Ernsthaftigkeit und nach dem vollständigem Wohlwollen Gottes.

Eines Tages, während ich eindringlich diesen Punkt behandelte und sie darum bat, sich mit Gott zu versöhnen, indem ihr Herz dem guten Zureden des Heiligen Geistes nachgeben sollte, da sagte sie zu mir:

„Ich glaube, ich habe die unverzeihliche Sünde begangen!“
„Warum meinen Sie das denn?“, fragte ich.
„Warum…? Weil ich so empfinde“, antwortete sie zögerlich.
„Was bringt Sie dazu, so zu empfinden?“
„Der Herr hätte mir schon zuvor das Mal vergeben, wenn es irgendeine Vergebung für mich gegeben hätte.“
„Er wird Ihnen jetzt vergeben, wenn Sie über ihre Sünde Buße tun und der Erlösung Christi vertrauen.“
„Nein!“, sagte sie, „Ich habe die unverzeihliche Sünde begangen! Es gibt für mich keine Vergebung!“ Sie weinte und schluchzte laut.
Ich fragte: „Wie lange denken Sie schon, dass Sie die unverzeihliche Sünde begangen haben?“
„Ich weiß es schon seit langer Zeit.“
„Was ist denn die unverzeihliche Sünde?“
„Die Sünde gegen den Heiligen Geist, die niemals vergeben wird; weder in dieser Welt, noch in der kommenden Welt.“
„Was ist die Sünde gegen den Heiligen Geist?“
Nach einigem Zögern erwiderte sie: „Es ist die Sünde, von der Jesus Christus sprach…,- wenn man gegen den Heiligen Geist redet.“
„Haben Sie denn gegen den Heiligen Geist gesprochen?“
„Oh nein! Das habe ich nicht getan!“, sagte sie.
„Was meinen Sie also damit? Was ist Ihre unverzeihliche Sünde?“
Darauf gab sie keine Antwort, also fragte ich sie weiter: „Wann haben Sie die unverzeihliche Sünde begangen?“
Sie sagte nichts.
„Sagen Sie mir, was sie ist.“
Sie antwortete nicht.
„Wie kam es dazu, dass Sie diese Sünde begangen haben?“
Wieder keine Antwort.
„Was bringt Sie zu dem Gedanken, Sie hätten diese Sünde begangen?“
„Gott hätte mir schon zuvor vergeben, wenn ich sie nicht begangen hätte.“
„Zuvor das Mal? Was meinen Sie genau damit?“
„Was ich damit meine? Weil ich schon lange Zeit suchend im Glauben bin.“
„Also weil Sie schon so lange suchend sind, da meinen Sie, es wäre bisher nicht Ihre Schuld gewesen, dass sie nichts gefunden hätten; aber dass Gott Ihnen nicht vergeben wird, weil Sie vor Monaten die unverzeihliche Sünde begangen hätten, das glauben Sie?“
„Ja, mein Herr.“
Darauf sagte ich: „Sehr gut, Ich nehme hiermit an, Sie möchten nichts weiter von mir, wenn Sie unentschuldbar sind. Wenn das der Fall ist, so kann ich nichts weiter für Sie tun. Ich darf Sie hiermit ebenfalls verlassen. Gehen Sie in ihr Kämmerlein und sagen Sie Gott, während Sie vor Ihm niederknien, dass Sie bereit sind, Buße zu tun; dass Sie bereit sind, Christus zu vertrauen; dass Sie bereit sind, Gott in allen Dingen zu gehorchen; und dass es nicht Ihre Schuld ist, dass Sie keine Christin sind. Sagen Sie Ihm, dass das einzige Hindernis bezüglich Ihrer Errettung diese alte unverzeihliche Sünde ist, die Er nicht vergeben will. Auf Wiedersehen.“

Ich verließ sie augenblicklich. Am nächsten Tag ließ sie mich erneut rufen. Ich fand sie,- wie ich es nicht erwartet habe,- erneut in demselben Zustand, indem sie traurig über die unverzeihliche Sünde grübelte. Nach so vielen Unterhaltungen, indem ich versucht habe, ihr die Schwierigkeit zu nehmen, und ihr den Fehler zu verdeutlichen, da bestand sie immer noch beharrlich darauf: „Ich habe die unverzeihliche Sünde begangen; ich weiß, ich habe es getan; ich weiß, ich habe es getan; ich weiß, ich habe es getan.“

Nach einem kurzen Moment des Schweigens hatte ich das Verlangen, ihre Aufregung zu beenden, und ich wollte, dass sie ihre Gedanken auf Folgendes richte, was ich ihr nun sagen würde. Ich sagte: „Ich werde jetzt sehr deutlich sprechen. Sie werden jedes Wort davon verstehen, was ich Ihnen sage. Einige Dinge, die ich sage, werden Sie womöglich überraschen, aber ich möchte, dass Sie sich es merken. Den ganzen Sommer hindurch habe ich Sie mit äußerster Liebenswürdigkeit und Nachsicht behandelt. Ich war immer da, wenn Sie mich gerufen haben; manchmal sogar, wenn Sie nicht nach mir verlangt haben. Das liegt daran, dass ich immer noch Ihnen gegenüber wohlgesinnt empfinde. Ich möchte Ihnen nur Gutes tun, indem ich Ihnen nun einige Dinge ganz klar und deutlich sage, die Sie vielleicht nicht mögen werden, aber dennoch wahr sind:-

Erstens: Sie sagen, Sie hätten die unverzeihliche Sünde begangen; Sie aber glauben nicht, was Sie da sagen. An so etwas glauben Sie nämlich nicht. Wissen Sie, Sie sind in der Tat eine Sünderin, aber Sie glauben nicht, dass Sie die unverzeihliche Sünde begangen haben. Sie sind weder ehrlich noch ernsthaft, wenn Sie das behaupten. Sie glauben das nicht.Punkt.

Zweitens: Es handelt sich um Stolz,- törichter Stolz eines bösen Herzens, der Sie dazu bringt zu sagen, Sie hätten die unverzeihliche Sünde begangen. Beeinflusst von jenem Stolz neigen Sie zum Teil (und das im Grunde auch nur halbherzig) zu glauben, dass Sie die Sünde begangen hätten. Sie möchten sich nur selbst verherrlichen. Sie geben vor, dass es irgendeine große und ungewöhnliche Sache gibt, die Sie davon abhält, eine Christin zu sein, nämlich die unverzeihliche Sünde. Aber der Stolz liegt am Fuß des Ganzen.

Drittens: Sie haben keinen Anlass, bzw. Grund für diesen Stolz. Da ist nichts ungewöhnliches an Ihnen. Sie sind genauso wie andere Sünder. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Sie die unverzeihliche Sünde begangen haben, selbst wenn Sie es versucht hätten. Ich denke nicht, dass Sie genug darüber wissen, um sie begangen zu haben.“

„Wieso?“, fragte sie. „Gibt es denn nicht solch eine Sünde?“

„Doch, aber Sie wissen nicht, was das ist; und Sie wissen nicht genug, um sie begangen zu haben.“

Weiter sagte ich: „Viertens: Sie sind eine der selbstgerechtesten Geschöpfe, die ich je gesehen habe! Sie versuchen sich einzureden, man könnte Ihnen keinen Vorwurf wegen Ihrem Unglaubens machen,- schließlich wären Sie ja bereit, eine Christin zu sein, und würden auch gerne eine werden, wenn es doch nur nicht diese unverzeihliche Sünde geben würde, die Sie sich,- angetrieben durch Ihren Stolz,- versuchen einzureden, begangen zu haben. Sie heucheln vor, es wäre nicht ihre gegenwärtige und geschätzte Sünde, die Sie in Ihrer Verstocktheit festhält. Oh, natürlich sind Sie gut genug, um gewisslich Buße zu tun; Sie täten Buße, wenn es nur nicht um diese unverzeihliche Sünde gehen würde. Das ist Ihr Herz, voller Selbstgerechtigkeit und Stolz.

Fünftens: Ihr boshaftes Herz klammert sich an die Vorstellung der unverzeihlichen Sünde, nämlich als Entschuldigung für Ihre kontinuierliche Unbußfertigkeit und Verstocktheit; für Ihr Leben im Genuss der Sünde, im Unglauben und Ungehorsam Gott gegenüber, und das jeden Tag. Ihre Entschuldigung wird nicht standhalten. Sie sind unaufrichtig. Es ist nicht die unverzeihliche Sünde, die Sie daran hindert, eine Christin zu sein, sondern vielmehr Ihr boshaftes Herz, Ihr Stolz, Ihre Eitelkeit und Unaufrichtigkeit. Ich werde Ihnen nie wieder irgendetwas anderes zu erzählen haben, bezüglich der unverzeihlichen Sünde. Wenn Sie auch nur eine wahre und gerechte Überführung der Sünde hätten, so würden Sie niemals die unverzeihliche Sünde auch nur erwähnen.“

Einige Monate nach dieser Unterhaltung rief sie mich erneut in tiefer Not zu sich. Aber diesmal lag ihr Kummer darin, dass sie ein böses, hinterlistiges und verstocktes Herz dem Gesetz Gottes gegenüber habe. Schließlich wurde sie, als sie glaubte, eine wahre reuige Büßerin, und bekannte ihren Glauben öffentlich. In all ihren Glaubensaufgaben, da erschien nichts sehr ungewöhnlich zu sein, und sie erwähnte mir gegenüber nie wieder die unverzeihliche Sünde.

Wahres Licht im Bewusstsein ist eine Sache, aber eine falsche Betrübnis im stolzen Herzen ist ganz was anderes. Wenn ein Sünder einfach nur eine gerechte Wahrnehmung seines Zustandes besitzt, dass er nämlich entfremdet ist von einem heiligen Gott, so wird er nicht dazu angetan sein, an die unverzeihliche Sünde zu denken. Falsche Überzeugung ist weitverbreitet, aber nutzlos.